Tess – oder laaange Reihen

Veröffentlicht in: Kleidung, Stricken | 11

Beim Stricken kann man ja philosphisch werden. Genauso wie beim Kochen, beim Spazierengehen, beim Perlenfädeln – bei all diesen netten Tätigkeiten, die aus sich wiederholenden Elementen bestehen. Dann kann man tagträumen, nachdenken oder – größte Herausforderung – einfach mal NICHTS denken.

Neulich jedenfalls dachte ich beim Stricken über das Stricken nach. Für das ersehnte Modell Tess (und hier bei ravelry) hatte ich schönste Rowan-Wolle (“creativ focus worsted”) und eine hölzerne 4 mm Rundstricknadel. Die Idee des Umschlagtuchs ist so einfach wie uralt: Ein einfaches Dreieck, um Schultern und Rumpf geschlungen, hinten gebunden. Das ist so schön variabel. Wenn warm (in Eile, am Ofen, am Kochen, dicke Jacke), dann kein Tuch. Wenn kalt (im Sitzen, kurz draußen, kleine Pause, strammer Wind) dann Tuch um. Super. So liebe ich das. Deshalb hab ich inzwischen auch so eine hübsche kleine Sammlung an cape-artigen Schaltüchern, die ich – ich freu mich schon! – nach und nach mal vorstelle, zur Nachahmung wird geraten.

Wo war ich? Ach ja. Tess. In einer ruhigen Minute nahm ich also ein paar, einige wenige Maschen auf. Das Dreieck wird von der oberen Mitte aus gestrickt. Man hat also immer die v-förmige Kontur = zwei Dreieckseiten als eine lange Reihe auf der Nadel.


So hatte ich anfangs ein kleines Reihchen mit wenigen Maschen. Dann die Rückreihe, ein paar Maschen dazu, oh, es ist schon ein winziges Dreieck! Jede Musterfolge besteht aus vier Reihen. Vier Reihen, acht, zwölf, 16 … Das ist ja schon ein Puppenschultertuch! Wenn man so im Schwung ist, schafft man in einer Kaffeepause locker mehrere Musterfolgen, Reihe um Reihe, Arbeit wenden, Rückreihe, hin und her …

Irgendwann (und das ist jetzt der Punkt, Achtung, an dem ich ein, zwei Gedanken übers Stricken hatte!) dachte ich mir:
“Seit einigen Tagen stricke ich an Tess. Meine Nadeln klappern ganz ordentlich wenn ich mal so loslege, und nur mit rechten Maschen, wow, da hab ich schon eine ganz ordentliche Maschen-pro-Zeiteinheit Quote. Warum zum … hab ich das Gefühl, ich stricke und stricke und komm nicht mehr vom Fleck?! Heute bin ich doch nicht langsamer als gestern?! Und wo ich gestern noch [bis-die-Nudeln-gar-sind] drei Musterfolgen geschafft habe, schaffe ich heute während [noch-fünf-Minuten-bis-ich-losmuss] nicht mal eine Reihe?!”

Es ist halt so: Kurze Reihen und Wendungen scheinen einen voranzubringen, lange Reihen dauern, nun ja, lange.
Gefühlt ewig.

Sogar das Stricken hat also seine Relativitätstheorie. Einstein wäre begeistert.

Der Witz ist, dass man Muster einfach mal so konzipieren sollte, dass beim Stricken die Reihen kürzer werden. Das sind dann Erfolgserlebnisse!

Merke: Tess fängt schnell an, aber dann wird es zäh.
Aber so schnell lasse ich mich ja nicht entmutigen, immerhin wusste ich ja, das ich Masche um Masche stricke und, wenn auch unbemerkt, irgendwie wohl vorwärts komme.

Und dann kam der Perspektivwechsel: Statt immer nur auf das Gestrick zu lauern, ob schon wieder zwei Zentimeter dazugekommen sind, hab ich mal aufs Knäul gekuckt. Ha! Und das wurde mit konstanter Geschwindigkeit immer kleiner!

Und plötzlich klappte es wieder und schon bald  konnte ich auch Tess abketteln. Ein sehr schönes Stück! So einfach wie wirkungsvoll und empfehlenswert! Jetzt sitz ich schon ein Weilchen hier, tippend, im leichten Shirt. Es wird kühl. Jetzt schnell ein Tässchen . . .

11 Antworten

  1. Sabine Klaninger

    Hallo Hilde!
    Nachdem ich ganz sicher war, dass ich für mein nächstes Projekt keine Hexagons mehr selbst ausschneiden will und die Lieselseite geöffnet hatte, bin ich gleich über deinen schönen Blog gestolpert, und noch den einen oder anderen bekannten Namen dazu. Schön!
    Das Dreieckstuch ist mir gleich ins Auge gestochen (Sorry, aber die Libellchen sind mir zu fummelig), Stricknadeln hervorgekramt und gleich mal ein Probestück begonnen. Ganz easy, und ein Grund, wieder mal richtig schöne Wolle zu kaufen.
    Der Lieselei bin ich all den Jahren treu geblieben, wenn auch nicht mehr so emsiig. Aber jetzt habe ich wieder einmal Lust, einen großen Quilt zu nähen.
    Liesel-4-ever!! Liebe Grüße, Sabine

  2. bärbel

    auch ich stehe mit den englischen anleitungen immer noch ein bisschen auf kriegsfuß, aber es gibt hilfe!
    bei http://www.tichiro.com gibt es einen workshop zum runterladen (und durcharbeiten während der kur, liebe marlies! alles gute für dich!)
    bei http://www.diewolllust.de gibt es im downloadbereich eine seite <>. da findet man die zeichen und deren bedeutung sowohl in deutsch als auch in englisch. das ist ein nettes blatt, was einfach mit in den strickbeutel passt.
    ansonsten gehe auch ich früsedöppen -wie man in westfalen sagt- mit tess schwanger. sockenwollreste wären da sicherlich auch eine möglichkeit….
    liebe grüße von
    bärbel

  3. Marlies Allmaier

    Yeah, das Tess-Tuch ist genau das, was ich schon seit langer Zeit suche, weil ich im Winter immer so um die Schultern und Oberarme friere, wenn ich nach einem langen Arbeitstag abends endlich mal auf dem Sofa sitze.
    Im letzten Jahr hatte ich mir ein Dreieckstuch gestrickt. Es hat wunderschön ausgesehen, war aber total unpraktisch, weil es mir immer wieder von den Schultern gerutscht ist. Dann hab ich die ganze Pracht wieder aufgeribbelt und daraus einen Kurzponcho fabriziert, den man über den Kopf ziehen muss. Irgendwie war das dann aber auch nicht das, was ich mir eigentlich vorgestellt hatte.

    Aber die Tess, die könnte meiner Idealvorstellung von einem praktischen und kuschligen Body-Wärmer ziemlich nahekommen! Und dann aus einem wundervoll weichen Garn……schnurrrrrrrr!
    Nur: Wie gehe ich dabei nun genau vor? So ganz hab ich´s nämlich nicht begriffen, wieviele Maschen ich anschlagen muss und wie viele wann und wo zunehmen, und wie krieg ich das Dreieck hin? Muss am Ende gar noch der alte Pythagoras herhalten?
    Also, wie unschwer zu verstehen ist: ich bräuchte eine genaue Anleitung!

    Ich gehe im November für drei Wochen in eine onkologische Reha, für diese Zeit wäre doch die Tess genau das richtige Projekt! Und während ich das schreibe, stelle ich mit Erstaunen fest, dass ich tatsächlich damit rechne, noch eine Weile unter den Lebenden zu bleiben. Tja, was die Aussicht auf so ein schönes kuschliges Stricktuch nicht alles bewirken kann….
    LG, Marlies

    • ildicolor

      Liebe Marlies,
      das Tuch wird dir bestimmt Spaß machen! Wie Liesel oben schon sagte, es ist ein Seelenwärmer. Die Anleitung ist frei, und hier zu finden:
      Es ist eine englische Anleitung, und der Link führt direkt zu der pdf-Anleitung, anders habe ich es nicht gefunden:
      http://documents.scribd.com/docs/u3ymkq6m7k04mbgesln.pdf
      Falls die englischen Strickbegriffe nicht geläufig sind, würde ich sie dir gerne übersetzen, ich maile dir dann privat.
      Schön, dass du diesen Lebensmut hast!
      Danke,
      xo Hilde

      • Marlies Allmaier

        Liebe Hilde,
        hab vielen Dank für deine schnelle Antwort!
        Ich hab mir die pdf schon angeschaut. Mit meinem Schulenglisch, das in grauer Vorzeit mal gar nicht so schlecht war, komme ich allerdings nicht weit. Du hast Recht, die englischen Strickbegriffe waren nicht Teil des Vokabulars eines katholischen (wenn auch neusprachlichen) Mädchengymnasiums.
        Wenn dir also mal gaaaaanz langweilig ist und du partout nicht weißt, womit du die Zeit totschlagen könntest, wäre ich dir für eine Übersetzung der Strickbegriffe sehr dankbar.
        Ich schau so oft bei dir vorbei und finde deine Seiten immer so herzerfrischend schön!
        Liebe Grüße,
        Marlies

  4. Angelika

    was man nicht im Kopf hat…. Ich vergaß zu schreiben, dass ich Muster bevorzuge, bei der mit wenigen Maschen angefangen wird. Wer es lieber andersrum mag : Enes Scarf ist eine gute Wahl, aber über 400 Maschen anschlagen macht keinen Spaß ;-))
    Bei Tüchern, die mit wenigen Maschen anfangen, kann man bis zum letzten cm stricken. Das geht bei den anderen nicht. Da muss man schon sicher sein, dass man genug Wolle hat, sonst fehlt dem Dreieck vielleicht die Spitze.
    Liebe Grüße
    Angelika

  5. Angelika

    Liebe Hilde,
    das Tuch sieht richtig schön kuschelig aus 🙂 Ich liebe auch Tücher und ganz besonders solche, in die ich mich richtig einwickeln kann. Beim werkeln in Haus und Garten ziehe ich Bindetücher wie Tess vor.
    Liebe Grüße und viel Spass auf der Messe
    Angelika

  6. Rita

    Wie wunderschön und sooo kuschelig! Die Wolle ist ein Traum! Und sowas muss ich auch stricken, als “Gfrörli”= also eine, die immer friert ein MUSS! Vielen Dank für dem Musterhinweis;)
    Einen ganz schönen Abend und ein erholsames Wochenende!
    Herzlich, Rita

  7. Annette Reichardt

    liebe Hilde, ich liebe diese Tücher in allen Variationen auch sehr und werde nicht müde, bei ravelry nach Mustern zu gucken. Toll sind solche, wo die Reihen zunächst immer länger werden und dann irgendwann gegengleich zurück gestrickt wird, da geht mir die 2. Hälfte regelmäßig schneller von den Nadeln und ich fühle mich beim stricken wie das Pferd, das den heimatlichen Stall schon wittert ;-))))
    Die Coralette ist dafür ein schönes Beispiel.
    Deine Tess sieht sehr kuschelig aus!! Viel Spaß morgen bei N&F
    Liebe Grüße von Annette

  8. Liesel

    Hoi, mien Deern,
    nun haben doch diese praktischen Seelenwärmer glatt (m)eine ganze Generation übersprungen. Ich hatte nämlich nie so eins.
    Aber meine liebe Oma besaß nach meiner Erinnerung keine Strickjacke, sondern nur solche Dreieckstücher, natürlich in schwarz. Sie hießen damals Umschlagtücher.
    Oma fing an der längsten Seite an, hunderte von Maschen müssen das gewesen sein, und um ein Dreieck zu erreichen, strickte sie in der Mitte jeweils zwei Maschen zusammen.
    Ich freue mich auf morgen bei N&F.
    Liebe Grüße von Mama

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